B.A.P.O.
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Jokes and Radiation
Weil heute ausnahmsweise mal das Netz und alle Rechner brav funktionieren,
sitze ich gelangweilt am Fenster und beobachte Nero, den Raben, wie er
systematisch die Abfalleimer im Biergarten der Cafeteria plündert. Er
krallt sich am Rand fest, schaut einen Moment wachsam umher, ob auch
niemand in der Nähe ist, und holt mit dem Schnabel zielsicher ein Stück
Müll nach dem anderen heraus. Uninteressantes wird mit einem eleganten
Schlenker sofort auf den Boden geworfen; vielversprechende Teile klemmt er
mit einer Kralle fest und seziert sie systematisch mit seinem
rasiermesserscharfen Schnabel. Wenn ihn niemand stört, braucht er pro
Abfallkorb nur elf Minuten. Eine Angestellte der Cafeteria kommt wütend
herausgestürzt und verscheucht Nero mit einer griechischen Schimpfkanonade.
Seit Nero physiotherapeutisch behandelt wird und wieder fliegen kann, ist
nichts mehr vor ihm sicher. Außer Fressbaren (mit Vorliege Aas!) hat er es
vorallem auch auf Kreditkarten aller Art abgesehen. Jedenfalls verschwindet
in letzter Zeit bei immer mehr Mitarbeitern das Plastikgeld aus den Büros,
und der Kollege O. schwört Stein und Bein, daß er Nero überrascht hat, wie
er gerade seine Chipkarte für die Tiefgarage klauen wollte. Frau Bezelmann
erklärt dazu nur, das sei geradezu lächerlich. Schließlich habe Nero ja
nicht einmal einen Wagen!
Eine Argument, dem nur schwer etwas entgegenzusetzen ist...
Ich vertausche das untere mit dem oberen Bein auf meinem Schreibtisch und
seufze gelangweilt. In diesen Semesterferien ist einfach nichts los. Fast
wünschte ich mir ein bißchen, daß endlich etwas passieren würde...
Im nächsten Moment steht Joseph in der offenen Tür und grinst so dämlich
wie der Mann aus der BlendaMed-Forschung. Hätte ich bloß meine Gedanken im
Zaum gehalten! Jetzt habe ich den Salat!
"Hey!" sagt Joseph gut gelaunt. "Ich muß dir unbedingt den neusten
Bill-Clinton-Witz erzählen..."
Ich suche fieberhaft nach einer passenden Ausrede, aber ich habe wohl das,
was unser geliebter Kanzler einen 'Blackout' zu nennen pflegt. Außerdem ist
es sowieso sinnlos. Joseph gehört zu der Sorte Mensch, die in allen Büros
auf diesem Planeten unweigerlich vorkommen: Der geborene Pointenkiller, der
fest davon überzeugt ist, daß seine Mitmenschen ohne seine Witze ein
verpfuschtes Leben führen müßten.
"Also: Bill Clinton beschäftigt diese...."
Da es nunmal nicht zu ändern ist, schalte ich meine Ohren auf Durchzug,
entblöße ganz leicht die obere Zahnreihe und schaue knapp an Josephs Kopf
vorbei auf meinen Zweitbildschirn in der Ecke. Wenigstens kann ich in der
Zwischenzeit seine verpfuschte Email löschen - wenn ich schon seine
verpfuschten Witze anhören muß!
"... und dann sagt Bill Clinton... ach nein, es sagt der Berater... oder...
ach ja, jetzt weiß ich's wieder: Bill Clintons Beraterin sagt zu der..."
Kaum was in seiner Mailbox. Hmm, wahrscheinlich verschickt er genauso
katastrophal verfaßte Witze an alle möglichen Leute, und niemand wagt es zu
antworten, aus Angst er könnte noch mehr schicken. Ich logge mich unter
seinem Account ein und schicke eine beim besten Willen nicht mehr
jugendfreie Mail an den Chef. Joseph kommt langsam zur unweigerlich
verpfuschten Pointe:
"... und was war ihre Note? Bescheiden... ach nein! Ich meine:
Befriedigend! Hahahahahaha!"
Joseph krümmt sich vor Lachen. Ich sage:
"Haha!" und, um überzeugend zu wirken, nochmal: "Ha!"
Nachdem sich Joseph wieder beruhigt und die Lachtränen aus den Augen
gewischt hat, sage ich:
"Ich kann dir auch einem Witz erzählen!"
"Wirklich?" japst Joseph völlig außer Atem. "Erzähl' mal..."
"Das Ende des Bartes ist im Kellergeschoß zu besichtigen."
Joseph schaut mich erwartungsvoll an. Als ich schweige, sagt er:
"Und weiter?"
Ich seufze.
"Das war's schon", erkläre ich.
"Ja, aber", sagt Joseph ratlos, "wo ist denn da die Pointe..."
Zwecklos! Völlig zwecklos!
"Vergiß es", wechsele ich das Thema. "Wann kommt er denn?"
"Wer?" fragt Joseph.
"Der, den das alles interessiert!"
Nachdem Joseph beleidigt abgezogen ist, gehe ich hinunter zum Kiosk, um mir
mein tägliches Magnum zu holen. Im Treppenhaus kommt mir Marianne entgegen.
"Oh, Gott! Gut daß ich dich treffe. Ich muß unbedingt zum Friseur und habe
mich schon verspätet. Hier sind die Isotopen für den Kollegen O., vom
Forschungsreaktor. Gib sie ihm bitte gleich. Er weiß schon Bescheid. Ich
muß fort. Tschühüß!"
Bevor ich protestieren kann, hat sie mir den runden, versiegelten
Plastikbehälter mit der Isotopenprobe in die Hand gedrückt und verschwindet
im Aufzug.
Zuerst esse ich in aller Ruhe mein Magnum, dann gehe ich in die Teeküche
und schiebe das Isotopen-Dings in die Microwelle. Es funkt und brutzelt
etwas, aber ich weiß, was diese Behälter aushalten. Dann ziehe ich mir die
Topflappen-Handschuhe über und trage den heißen Behälter ins Büro des
Kollegen O. Zum Glück ist da und nicht gerade wieder auf einer seiner
Lila-Reizwäsche-Einkaufs-Touren.
"Hier ist die Isotopenprobe von heute Nacht", sage ich und stelle das Ding
auf seine Schreibunterlage.
"Gut... aber... äh... wieso hast du Handschuhe an?"
"Ich will mir ja keine Brandblasen holen", sage ich fröhlich.
"Waaaas... Wieso? Die Probe kann doch gar nicht heiß sein. Die
Halbwertszeit liegt bei 670 Jahren..."
Ich warte geduldig die zehn Sekunden, bis im Gehirn des Kollegen O. die
folgerichtigen Synapsen geschaltet werden.
"Oh Gott!" schreit er und weicht in Richtung Türe zurück.
"Was ist denn los?!"
"Diese... diese Idioten im Reaktor haben bestimmt was verwechselt! Am Ende
haben sie uns ein kurzlebiges Isotop eingepackt! Oder sogar spaltbares
Material!!"
Der Kollege O. packt mich am Arm und zerrt mich unsanft aus dem Büro.
"Bloß nicht mehr anfassen!"
Er knallt die Türe zu! Zufälligerweise (!) ist der Kollege O. auch unser
ABC-Beauftragter...
"Ok, ganz ruhig bleiben", sagt er schwer atmend auf dem Gang. "Ruhe
bewahren! Erst mal Ruhe bewahren!"
Unser Kanzler wäre stolz auf ihn!
"Zu allererst müssen wir Alarm geben. Und.... und dann brauchen wir
Atemschutzgeräte. Äh... du paßt in der Zwischenzeit auf, daß niemand diese
Türe öffnet, klar? Versuch'... äh... ganz flach zu atmen!"
Er hechtet los in Richtung Feuermelder. Während ich standhaft Ruhe bewahre
und nicht daran denke, flach zu atmen, kommt Marianne dummerweise nochmal
zurück.
"Ich kann meine EC-Karte nicht finden", sagt sie ratlos und wühlt auf
typisch weibliche-uneffektive Art in ihrer riesigen Handtasche.
Schlecht. Wenn sie noch lange hier herumsteht, kommt am Ende der Kollege O.
zurück, und sie verdirbt uns den ganzen Spaß.
"Ich glaube, gerade vorhin habe ich Nero aus deinem Fenster fliegen sehen",
sage ich beiläufig.
"Ah! Dieses Mistvieh!" ruft Marianne verstehend und stürzt zum Sekretariat,
gerade als der Kollege O. mit einer Atemschutzmaske bewaffnet am Ende des
Ganges auftaucht. In der Ferne höre ich die ersten Sirenen...
Das dürfte das Problem der Langeweile für den Rest des Tages erledigen.
DISCLAIMER
Falls einer von euch zufällig mit echten Isotopen-Behältern zu tun hat (und
nach euren email Adressen zu schließen, könnte schon der eine oder andere
dabei sein!), dann stellt diese bitte NICHT in die Microwelle der Teeküche!
Zumindest nicht vor dem Mittagessen, ok? Und wenn ihr sie schon unbedingt
hineinstellen müßt, dann schaltet wenigstens nur auf AUFTAUEN!
Das, was ihr da gerade gelesen habt, ist reine Phantasie, capito? FANTASY,
nichts weiter! Nicht vergessen!
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