von Florian Schiel
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Heute bin ich zornig und brüte in meinem Büro vor mich hin. Nicht
daß ich grundlos zornig bin, oh nein. Es gibt für alles einen Grund. Der Postmaster vom Rechenzentrum hat entdeckt, daß ich seinen Mailer durch ein Trojanisches Pferd ersetzt habe, um ungestört Usermail lesen zu können. Jetzt komme ich nicht mehr so leicht an die mails der Studentinnen ran, und außerdem muß ich auch noch befürchten, daß er meinen Spuren bis hierher folgen wird. Dazu kommt noch, daß der Chef wieder ein unsinniges Projekt an Land gezogen hat, das nur Arbeit und wenig Dienstreisen verspricht. Und als absolute Krönung ist mir der Yoghurt ausgegangen, mit dem ich bei schönen Wetter die Studenten vor meinem Fenster zu beschießen pflege. Mein Stimmungsbarometer ist auf dem absoluten Tiefstpunkt angelangt.
Nietzsche muß man lesen, wenn man zornig ist; er ist bestimmt nichts
für harmonische Stunden. Aber wenn man so zornig ist wie ich jetzt,
liegt er genau richtig. Außerdem bringt er einen auf gute Ideen.
Ach, wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen beste Kraft. "Der Mensch muß besser und böser werden" - so lehre ich.' Gerade in diesem Moment läutet das Telefon.
"Ähm, ja, ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin, aber ich habe ein Problem..." "Aber sicher doch", sage ich beruhigend, "sowas kann nun mal passieren. Haben Sie schon mit dem Kindsvater darüber gesprochen?" "Häh? Mit dem Kindsvater? Wieso? Ach nein, ich habe ein Problem mit meinem Rechner... "Ah, dann sind Sie hier falsch. Das hier ist die Schwangerschaftsberatungsstelle. Warten Sie, ich verbinde Sie mit der Uni-Hotline..."
"Ja, äh, hallo. Ich habe ein Problem mit meinem Word." "Ja?" "Ja. Also, ich habe jetzt meinen Text eingetippt und versucht, ihn abzuspeichern, aber irgendwie macht er das nicht..." "Verwenden Sie WinWord?" "Äh, wie bitte? Es tut mir leid, aber der Rechner gehört mir nicht und ich kenne mich nicht besonders gut aus..." "Ist das ein Pentium mit Windows?" frage ich mit Engelsgeduld. "Ja, ich glaube..." Ich browse schnell durch meine Datenbank. Ah, da ist es ja!
"Das erste Wort? Ja, also die Überschrift lautet: 'Diplomarbeit im Fach..."
BESTENS.
"WIE BITTE?" "Ja, spassig nicht wahr? Es hat wohl irgendetwas mit dem intermodulierten Super-Cache zu tun, den WinWord zum effizienteren Crossword-Checking im Lingo-Mode verwendet." "Aha..."
"Ganz einfach: Geben Sie vor der Überschrift noch das Wort 'Realität' ein und versuchen Sie erstmal die Rechtschreibkontrolle. Dazu müssen Sie die kleine Lupe in der Kopfleiste anklicken."
"Das ist ganz normal", sage ich, "das macht WinWord immer, wenn es automatisch abspeichert. Sie haben von ihrem Text doch hoffentlich Sicherungskopien gemacht?" "Äh, von dem noch nicht. Den habe ich ja gerade erst eingetippt. Aber die anderen Kapitel, die habe ich auf Diskette..." "Auf Ihrem Schirm müßte doch jetzt ganz unten 'C:>' stehen, nicht wahr?" "Ja..." "Das bedeutet, daß WinWord Ihnen nun Gelegenheit gibt, Ihre Disketten aufzufrischen. Sie wissen doch, daß Disketten nur eine begrenzte Haltbarkeit haben, oder?" "NEIN?!" "Doch, doch. Wenn Sie Pech haben, ist plötzlich nichts mehr lesbar. Sie müssen die Disketten regelmäßig auffrischen, im Computer-Slang heißt das 'Formatieren'. Dazu dient dieser schwarze Schirm, den Sie jetzt sehen. Legen Sie die Diskette ein und tippen sie 'format a:' ein. Dann drücken Sie immer 'Return'." "Ähm, ok." "Frischen Sie regelmäßig Ihre Disketten auf; das ist genauso wichtig wie das Sichern selbst." "Ok, danke vielmals." "Keine Ursache. Wir müssen uns alle helfen, nicht wahr?"
Ich schlage das Buch weiter vorne auf.
wahrlich, der muß ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen.'
wahrlich, der muß erst ein Vernichter sein und Bänke sägen.'
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