"WHAT THE HELL IS THIS!!!"
Mit lauten Knall klatscht Jerry ein Papier auf meinen Schreibtisch
und funkelt mich angriffslustig an.
So etwas kann ich schon gar nicht verknusen! Vor 11 Uhr morgens loesen
Geraeusche mit mehr als 90 dB bei mir anti-allergische Reaktionen aus.
Andererseits scheint Jerry momentan nicht in der Verfassung zu sein,
sich mit dem ueblichen "I'll come back to you!" abspeisen zu lassen.
Jerry ist normalerweise absolut 'cool'. Er ist so 'super-cool', dass
er eine Buechse Cola nur anschauen muss und sie bedeckt sich in Sekunden
mit Rauhreif.
Allerdings schaut er nicht sehr viel - ausser auf sein Computer-Display.
Die schweren Augenlider unter der umgekehrt aufgesetzten Baseball-Kappe
und den beringten Augenbrauen sind normalerweise auf Halbmast festgezurrt.
Weitere Ringe in seiner Unter- und Oberlippe verhindern, dass er zu schnell
spricht (was aber sowieso 'un-cool' waere), und wenn er Nahrung in fluessiger
Form zu sich nimmt, rinnt unvermeidlich ein duenner Faden sein Kinn
herab.
Hoeren tut er auch nicht besonders gut, weil die vielen 'ethnic piercings'
in seinen ziemlich abstehenden Ohren staendig gegeneinanderklingeln.
Aber Zuhoeren ist sowieso 'un-cool'! Seine Haare sind in verschiedenfarbigem
Rautenmuster geschoren, und er traegt immer dieselbe kackbraune Latzhose,
deren Schritt irgendwo bei seinen Kniekehlen baumelt. Deswegen kann er
sich auch nur mit ganz kleinen Schritten fortbewegen, aber schneller zu
laufen waere sowieso... genau: absolut 'un-cool'! Zur Latzhose gehoert
ein geripptes Unterhemd, wie sie mein Grossvater immer getragen hat, das
selbstverstaendlich die 'cool-sten' Loecher an den richtigen Stellen hat,
die von einem absolut 'hyper-coolen' 'ripped-underwear-designer' mit groesster
Sorgfalt ausgesucht wurden. Durch manche der Loecher kann man seine Tatoos
sehen, die natuerlich alle 'super-cool' sind (Stacheldraht um die Huehnerbrust,
der sich auf dem Weg nach unten in ein 'power cord' verwandelt; dreimal
duerft ihr raten, wo sich der zugehoerige Stecker befindet!).
Jerrys Sonnenbrille ist so 'cool', dass sie jedem Vollblinden perfekt
anstehen wuerde. Aber das macht ihm nichts aus, denn Herumlaufen waere
ja, wie bereits gesagt, absolut 'un-cool', und zum Herumhaengen oder Am-Strassenrand-Sitzen
reicht die Blindenbrille allemal.
Jerry ist so 'cool', dass er eigentlich schon nicht mehr 'cool' ist:
er ist 'nifty'! Nebenbei ist er einer unser besten Hacker und ein Faulpelz...
Im Moment scheint er allerdings nicht so ganz auf seiner ueblichen 'coolen'
Hoehe zu sein. Also nehme ich seufzend und aufreizend langsam den Fetzen
Papier zur Hand, suche umstaendlich meine Lesebrille von Woolworth mit
0.0 Dioptrin und gucke angestrengt auf das Papier.
"Schaut aus wie deine Lohnabrechnung", sage ich fuenf Minuten spaeter,
waehrend derer Jerry sich muehsam beherrschend an meiner Tischplatte festgekrallt
hat.
Er reisst mir den Ausdruck aus der Hand und zischt:
"Allerdings ist das meine Lohnabrechnung! Und hier?! Und das hier?!
Was zum Teufel ist das hier?! Ginger hat gesagt, das sei deine verf.....
Idee gewesen?!"
"Das ist nur die Abrechnung deiner Maus-Maut", sage ich besaenftigend
und nehme die Brille ab. "Absolut kein Grund zur Aufregung. Ganz 'cool'
bleiben, Mann!"
Jerrys Stimme schnappt ueber:
"Da fehlen 565 Dollar auf meinem Paycheck!!! Und ich soll cool bleiben!
Was zum Teufel heisst das hier: 113.4 Miles Mouse Toll equals $ 565"
"Ganz einfach", sage ich und nehme das Papier aus Jerrys zitternden
Fingern. "Unser Hardware-Etat ist infolge einiger notwendiger Investitionen
in der... aehm... juengeren Vergangenheit so zusammengeschmolzen, dass
die... hmm... Institutsleitung beschlossen hat, eine Mautgebuehr fuer die
Abnutzung der Maeuse einzufuehren. Weisst du ueberhaupt, wieviel wir im
Jahr fuer kaputte Maeuse ausgeben?"
"Ich..."
"Fast dreitausend Dollar! Es wurde deshalb vorgeschlagen, diese Kosten
aufwandsneutral und verschleissproportional an die Benutzer durchzureichen..."
'Aufwandsneutral', 'verschleissproportional ' und 'an Benutzer durchreichen'
habe ich mir von unserem bayerischen Augenbrauen-Monster T.W. abgehoert.
'Verbreiterung der Einkommensbasis' ist auch so ein Renner von ihm! Ich
haette wirklich Politiker werden sollen!
"... und deshalb werden fuer jeden Benutzer ab sofort die mit der Maus
zurueckgelegten Meilen registriert und am Monatsende mit $ 5 pro Meile
vom Paycheck abgezogen. Uebrigens zahlen natuerlich auch die Studenten,
allerdings nur $ 3 pro Meile..."
Jerry starrt mich an; das muss er erstmal verdauen. "BUT THIS IS OUTRAGEOUS!"
explodiert er schliesslich. "Das lasse ich mir nicht bieten! Wie soll man
da noch wissenschaftlich arbeiten! Ich werd' mich beim Dean beschweren..."
Ich zucke gelassen mit den Schultern.
"Es soll ja noch andere Leute geben, die scharf auf einen Job an der
Uni sind. Im Silicon Valley wimmelt es geradezu von frustrierten, ausgenutzten
Hackern, die nur darauf warten, dass hier an der Cal ein ruhiger Job frei
wird..."
Ich oeffne eine Textdatei und gucke hinein.
"... ausserdem wuerde ich hier nicht so laut vom 'wissenschaftlich
arbeiten' herumtoenen. Ich habe mir mal deine letzten vier Veroeffentlichungen
angeschaut. Tststs. Also beim besten Willen: da steht doch ueberall dasselbe
drin, obwohl das Kind jedesmal einen anderen Namen hat. Jaja, ich weiss
schon: 'publish or perish'. Aber mit so einer Veroeffentlichungsliste wuerde
ich an deiner Stelle lieber einen Sicherheitsabstand zum Buero des Dean
einhalten..."
Jerry macht den Mund auf. Dann macht er ihn wieder zu, reisst mir die
Abrechnung aus der Hand und verschwindet.
Das Arbeitsklima wird doch gleich viel entspannter, wenn man ein bisschen
ueber den Hintergrund seiner Mitarbeiter Bescheid weiss...
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