B.A.f.H. 17 |
Heute ist mal wieder Besuch angesagt. Da hilft auch der Schutzschild
nichts mehr.
Unser nördlicher Projektpartner im SCHWAFEL-Projekt hat einen
gewissen Herrn Doktor phil. Vogel zu einen eintägigen 'Arbeitstreffen'
an unser Institut geschickt. So nennt man es, wenn jemand auf
Staatskosten München besuchen will.
SCHWAFEL steht für 'Self Constructing Hyper Wavelet Algorithms
For Extrapolating Linguistics'. Genauso gräßlich wie der Titel ist auch
das ganze Projekt. Übrigens weiß bis heute niemand, warum ein von
der Bundesregierung gefördertes Projekt mit ausschließlich deutschen
Projektpartnern einen englischen Titel haben muß.
Herr Doktor Vogel ist Hanseate, wie er mir innerhalb der ersten 20
Sekunden erklärt, und außerdem mit einem erstaunlichen
Selbstbewußtsein ausgestattet. Er ist sehr groß, dünn und hat einen
weit vorgestreckten Hals, auf dem ein langgezogener Schädel hin und
herpendelt. Das längliche Gesicht mit der hohen Stirn wird noch betont
durch einen schütteren Ziegenbart, der sich beim Lachen etwas sträubt.
Herr Doktor Vogel lacht aber nicht viel, denn das würde seinen
Redefluß behindern.
Die erste Stunde unseres 'Arbeitstreffens' lasse ich ausschließlich
Herrn Vogel reden. Dann sage ich:
und höre ihm die ganze zweite Stunde lang aufmerksam zu. Als nach
der dritten Stunde noch keinerlei Anzeichen von Heiserkeit bei Herrn
Doktor Vogel festzustellen sind, schlage ich vor, daß wir das
Arbeitstreffen doch bei einem Arbeitsessen fortsetzen könnten. Herr
Doktor Vogel ist einverstanden und redet weiter. Allerdings nützt er die
Gelegenheit nunmehr dazu, um von fachlichen Themen auf persönliche
umzusteigen.
Auf diese Weise erfahre ich auf dem Weg zum Lift, daß er nicht nur
fachlich brillant ist, sondern auch im Privaten genau die Persönlichkeit
darstellt, die ich schon immer kennenlernen wollte. Er ist natürlich
außerordentlich sportlich, spricht 5 Sprachen fließend und hat ein
Segelboot an der Elbe. In der Intimität der Liftkabine wechselt Herr
Doktor Vogel zum Thema Frauen über:
"Wissen Sie, ich bin immer wieder überrascht, wie unwiderstehlich ich
auf Frauen wirke", sagt er gerade, als die Lifttüre sich noch einmal
öffnet, und Marianne zusteigt.
Die Türe schließt sich und der Lift fährt wieder ruckend an. Ebenso
setzt Herr Doktor Vogel unbekümmert die Darstellung seiner
libidinösen Vorzüge fort. Mariannes Augen werden immer größer und
sie preßt sich immer weiter ihre Ecke.
"Es scheint nunmal der Fall zu sein, daß ich auf das weibliche
Geschlecht unwiderstehlich wirke", wiederholt Herr Doktor Vogel
abschließend, falls ich den Kernpunkt seiner Aussage vielleicht verpaßt
haben sollte.
Ich gucke Marianne an, Marianne guckt mich an. Herr Doktor Vogel
guckt von mir zu Marianne, als ob er ihre Gegenwart erst jetzt zur
Kenntnis nehmen würde.
"Finden Sie nicht auch?" fragt er Marianne unvermittelt.
Marianne wird erst knallrot, dann blaß.
"Oh, äh...", stottert sie, dann erlöst sie der Aufzug, der im ersten Stock
die Türe öffnet.
"Entschldgnsimushiaraus", nuschelt sie und schlängelt sich wie ein Aal
durch den Türspalt.
Herr Doktor Vogel schaut mich triumphierend an.
"Haben Sie gesehen, wie sie errötet ist? Und kein vernünftiges Wort
hat sie mehr herausgebracht. Ich habe fast immer eine so drastische
Wirkung bei den Frauen."
Herr Doktor Vogel beginnt mich nun doch zu interessieren. Es reizt
mich herauszufinden, wie weit sein Selbstbewußtsein geht.
Als wir aus dem Uni-Gebäude auf die belebte Strasse treten, strahlt die
Sonne vom föhnig-blauen Sommerhimmel.
"Sehen Sie", sage ich, "das reinste Bilderbuchwetter. Nur für Sie
bestellt."
Herr Doktor Vogel nickt beifällig lächelnd und segnet mit sanftem Blick
die ganze Schöpfung, die im zu Füßen liegt. Erstaunlich!
Vor dem Hauptportal der Uni deute ich auf die große Bayernfahne, die
sich malerisch im Winde bauscht.
"Extra für Ihren Besuch haben sie die Flaggen gesetzt."
"Tatsächlich?" sagt Herr Doktor Vogel erfreut, bleibt für einen Moment
stehen und betrachtet wohlgefällig das weißblaue Rautenmuster. Es ist
nicht zu fassen!
In unserem Stammlokal erklärt Herr Doktor Vogel zunächst den
gesamten Inhalt der Speisekarte für ungesund und schwer bekömmlich,
bestellt schließlich doch die Schweinshaxe und erklärt, als er sie
schließlich vor sich auf dem Teller hat, der genervten Bedienung
detailiert, was seiner Meinung nach bei der Zubereitung des 'Eisbeins'
alles schiefgegangen sei.
Während er das 'Eisbein' mit geradezu atemberaubender
Geschwindigkeit verschlingt, verlangsamt sich sein Redefluß aus rein
anatomischen Gründen soweit, daß man schon fast von einem
geruhsamen Mittagessen sprechen könnte.
Plötzlich unterbricht sich Herr Doktor Vogel mitten im Satz und sagt:
"Das Mädchen da drüben hat mir eben zugezwinkert. Ich habe es ganz
deutlich gesehen."
Ich drehe mich unauffällig um, kann aber beim besten Willen weit und
breit kein Mädchen entdecken. Bevor ich noch fragen kann, welches
Mädchen er denn meine, ist er schon aufgesprungen und rückt sich die
karierte Fliege vor seinem überdeutlichen Adamsapfel zurecht. Gerade
noch rechtzeitig merke ich, daß er Frankie ansteuert, der wie immer um
diese Zeit seine Berliner Weiße an der Bar süffelt.
Nur unter lautstarkem Protest gelingt es mir, Herrn Doktor Vogel aus
der Kneipe zu lotsen.
"Aber ich verstehe Sie nicht", sagt er ungehalten und befreit sich aus
meinem Polizeigriff, als wir glücklich wieder auf der Strasse stehen.
"Was können diese armen Geschöpfe denn schon dafür, daß sie bei
meinem Anblick alle Hemmungen verlieren. Deshalb muß man sie doch
nicht enttäuschen!"
Einen Augenblick überlege ich, ob ich ihn zurück zu Frankie an die Bar
lassen soll, dann kommt mir eine bessere Idee.
"Wir haben aber jetzt keine Zeit mehr", erkläre ich. "Der Empfang
beginnt gleich."
"Was für ein Empfang?" will Herr Doktor Vogel ungnädig wissen.
"Aber... aber wieso wissen Sie das nicht?" wundere ich mich. "Die
Institutsleitung mißt Ihrem offiziellen Besuch hier in München so hohe
Bedeutung bei, daß sie dem Rektor empfohlen hat, heute Nachmittag
einen offiziellen Empfang zu Ihren Ehren zu veranstalten."
Die Miene von Herrn Doktor Vogel hellt sich zusehends auf.
"Der Empfang findet im Senatssaal statt", fahre ich fort und ziehe ihn
sanft am Ärmel weiter. "Der ganze Senat wird anwesend sein; vielleicht
verleiht man Ihnen sogar eine Ehrenurkunde. Oh, Gott! Jetzt sind Sie
natürlich gar nicht vorbereitet. Sicher erwartet man auch von Ihnen ein
paar Worte."
"Natürlich", meint Herr Doktor Vogel selbstbewußt, "das ist überhaupt
kein Problem. Ich werde einfach improvisieren."
"Bravo", rufe ich erleichtert, "da fällt mir aber ein Stein vom Herzen."
Aber Herr Doktor Vogel winkt bescheiden ab.
"Das ist doch für mich überhaupt kein Problem."
"Aber eines muß ich Ihnen noch sagen", fahre ich ernst fort, "ich muß
Sie gewissermaßen vorwarnen: Es gibt im Senat immer noch einen -
nun sagen wir - etwas exotischen Professor, der immer wieder
versucht, dem Redner ins Wort zu fallen. Unter uns gesagt, es sind halt
nicht mehr die allerjüngsten, unsere Ordinarien."
"Total verkalkt, eh?" meint Herr Doktor Vogel beifällig lächelnd.
"Nun ja, das will ich nicht gesagt haben", sage ich, "aber er ist eben
bekannt dafür, daß er jeden Redner bei allen Gelegenheiten zu
unterbrechen versucht. Dieser besagte Professor sitzt normalerweise
am Kopfende des Tisches; auch so eine Marotte von ihm: er will nur
dort sitzen."
Inzwischen sind wir im Uni-Hauptgebäude angelangt und stehen vor
den hohen Flügeltüren mit dem goldenen Schild 'Senatssaal'. Herr
Doktor Vogel zupft sich die Fliege zurecht.
"Also", sage ich, "gehen Sie hinein und beginnen Sie mit ihrer Rede.
Lassen Sie sich durch ihn nicht ablenken, auch wenn er schreit oder
droht. Das ist ganz normal."
Ich öffne die Türe eine Spalt und schiebe den Herrn Doktor Vogel in
die gemächlich vor sich hindümpelnde 467. Sitzung der
Haushaltskommission. Ich sehe noch wie Prof. Kürfaß, der
Vorsitzende, ein ganz scharfer Hund, überrascht ob der Störung von
seinen Papieren aufblickt. Dann schließt sich die Türe mit
schicksalhaftem Knall hinter Herrn Doktor Vogel.
Später, in meinem Büro, ruft mich ein Arzt aus der psychatrischen
Universitätsklinik an.
Ja, Also, sie haben da heute Nachmittag einen ungewöhnlichen Fall
reinbekommen, meint er. Der Patient sei offensichtlich in einer
manischen Phase und verlange zwischen seine Anfällen immer diese
Nummer anzurufen.
Ich versichere ihm, daß ich keinen manischen Bekannten habe, was
nicht mal gelogen ist, und frage, ob sie so einen Irren doch hoffentlich
nicht freilassen würden.
"Ich meine, dann kommt er am Ende noch zu mir nach Hause", füge
ich besorgt hinzu.
Der freundliche Arzt beruhigt mich:
"Unter drei Monaten kommt der sicher nicht aus der Beobachtung. So
einen interessanten Fall hatten wir hier schon lange nicht mehr."
|