von Florian Schiel
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Der geschätzte Leser erwartet jetzt sicher wieder eine Episode aus dem
aufregenden Leben des BAFH. Leider muß ich ihn heute enttäuschen. Der Grund? Es ist einfach gar nichts passiert, rein gar nichts, was es lohnt, in die Tasten zu greifen. Und warum ist das so? Es sind Semesterferien. Keine Studenten, der Chef ist auf einer seiner ausgedehnten 'Studienreisen', ja selbst die unerschütterliche Frau Bezelmann hat ihren Posten im Sekretariat für eine Woche aufgegeben, um an einer rein feministischen Konferenz in Bad Blocksberg teilzunehmen.
Ich ergreife die Gelegenheit, um endlich auf die anschwellende Flut
von Leserbriefen (meist in Form von drei- bis vierzeiligen emails!)
einzugehen, die ja auch irgendwann beantwortet sein wollen.
Zunächst danke ich für die zahlreichen Hinweise besorgter
Akademiker-Eltern, daß sie ihre Sprößlinge - sobald diese in
entsprechendes Alter herangewachsen sein würden - auf gar keinen Fall
an die Universität des BAFH schicken und schon unter gar keinen
Umständen ein Fach studieren lassen würden, im Rahmen dessen die
wohlbehüteten selbigen Sprößlinge etwa mit mir persönlich in Kontakt
geraten könnten.
Auch die zahlreichen Anfragen von Studenten anderer Fakultäten, ob es
denn in unserem Fach an dieser unserer Universität tatsächlich
'dermaßen schlimm zugehe', möchte ich hier kurz und bündig
beantworten:
Als nächstes muß ich auf die teilnehmenden Zuschriften zahlreicher
weiblicher Leserinnen eingehen, die sich bei mir erkundigen, ob ich
durch meinen Lebensstil Frustrationen infolge mangelnder Zuwendung
abreagiere, und die mit mehr oder weniger eindeutigen Angeboten ihre
Dienste zwecks Abbau der besagten Frustrationen anbieten. Das Thema meiner Herkunft scheint aber die Leserschaft derart zu interessieren, daß ich mich schweren Herzens durchgerungen habe, an dieser Stelle ganz kurz über
zu berichten.
Also, das Ganze nahm seinen Anfang einige Jahre nachdem ich meinen
Posten als Flugbegleiter auf einem Charterflugzeug der LUDA AIR
angetreten hatte. Als Engel fünfter Klasse des 3. Fähnleins, 12.
Es war nicht gerade ein Traumjob. Präziser gesagt, langweilte ich mich
fast zu Tode. Ein Jahr lang pendelten wir fast ununterbrochen zwischen
Cancun und Frankfurt hin und her. Die Flugzeugbesatzungen
wechselten ja dauernd, aber ich durfte meinen Posten nicht verlassen. Mehr durfte ich auch gar nicht. Denn die oberste Direktive im Kodex der HH lautet: 'Keinerlei aktiven Eingriff in das Geschehen, damit die Planung der oberen Ränge nicht in Frage gestellt werden kann.'
Jedenfalls hatte ich nach einigen Jahrzehnten in den Charterflugzeugen
der LUDA AIR die Sache gründlich satt. Ich beneidete die Kollegen
vierter Klasse, die immerhin in Linienflugzeugen Dienst tun durften.
Eines Tages lümmelte ich gerade mal wieder gelangweilt auf dem Stuhl
des Copiloten, der sich die lange Flugzeit über den Atlantik zusammen
mit der kleinen blonden Stewardess auf angenehmere Art verkürzte, als
plötzlich der Pilot neben mir einen erstickten Laut von sich gab und,
bevor ich noch Gelegenheit fand, ihm weisungsgemäß Mut und
Hoffnung einzuflüstern, in Ohnmacht fiel.
Ich überlegte kurz, ob ich statt des bewußtlosen Piloten den Copiloten
aufsuchen sollte, um ihm Mut und Hoffnung einzuflüstern. Allerdings
bezweifelte ich, daß dieser es rechtzeitig von der Ruhekabine der
Stewardessen bis zur Pilotenkanzel schaffen würde. Vor allem bei der
rapide zunehmenden Schräglage der 737 und wenn er sich unterwegs
auch noch anziehen müsse.
Direkt vor mir befand sich die Anzeige des Höhenmessers und daneben
der Schalter zum Autopiloten. Die Zahlen flimmerten über die Anzeige
des Höhenmessers. Ich schätzte noch etwa 25 Sekunden bis zum
ultimativen Aufprall.
Rasch versetzte ich mich nach hinten in die abgedunkelte Ruhekabine
der Stewardessen. Der Copilot war offensichtlich nach vollbrachter Tat
auf der ebenfalls schlummernden kleinen blonden Stewardess
eingeschlafen und schnarchte leise und zufrieden. Ich streckte
automatisch meine Hand nach seiner Schulter aus, um ihn
wachzurütteln, aber dann fiel mir die oberste Direktive der HH wieder
ein: Kein Eingriff ins Geschehen.
Wenn ich jetzt den Copiloten aus seinem post-coitalen Koma erweckte,
verstieß ich bereits gegen meine Vorschriften und es war keineswegs
sicher, ob er es in den verbleibenden 20 Sekunden noch bis zur
Pilotenkanzel schaffen würde.
Die Sache ging natürlich durch die Presse und ein Engel 3. Klasse im
Range eines Super-Anglizisten wurde darauf aufmerksam. Der Fall
wurde an die gefiederte MIPO überwiesen und diese besorgte sich per
göttlichem Dekret eine Kopie des verdammten Flugschreibers. In den
anschließenden Verhören kam alles heraus, weil ich als Engel noch
nicht gelernt hatte, gewisse Tatsachen geeignet darzustellen.
Ich wurde sofort zum 'Angel Bulk Rate' degradiert und mußte mich zur
Strafe fortan um die Überwachung der Quantenfluktuationen in der
Beschleunigerkammer 5 des Kernforschungszentrums CERN
kümmern - eine verdammt mühselige und noch ödere Arbeit, als man
es sich vorstellen kann, deren Zweck allein darin besteht, die
Kernphysiker durch absolut anormales Verhalten der Elementarteilchen
in die Irre zu führen, damit sie den göttlichen Plan der Schöpfung nicht
so leicht erkennen können.
In CERN lernte ich einen BTFH, Bastard Technician from Hell, aus
dem dritten Kreis kennen, der mir die ersten Kontakte zur Konkurrenz
verschaffte. Schließlich bot mir die Geschäftsleitung an, den Posten
eines BAFHs zu übernehmen, wenn ich dafür auf meine engelhaften
Privilegien für immer verzichtete.
Natürlich unterschrieb ich sofort - von Protonen, Leptonen, Barionen
und anderen Etceteraonen hatte ich gründlich die Nase voll. Und so wurde aus dem 'Angel Bulk Rate' der 'Bastard Assistant from Hell', des Chaos Quelle, der Schrecken aller Verwaltungsbeamten und Studenten, immer bereit, ein wenig Sand ins Getriebe der göttlichen Ordnung zu streuen.
Und - seien wir mal ganz ehrlich - ohne ein bißchen Chaos wäre dieses
Leben doch stinklangweilig.
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