Mein Telefon schmachtet mich an:
"Nimm' mich! Nimm' mich!"
Das traditionelle Telefonklingeln kommt ja sowieso immer mehr aus der
Mode, aber dem üblichen billigen Synthesizer-Gedüdel kann ich nun gar
nichts abgewinnen. Deshalb habe ich mein Telefon mit einem Voice-Chip
versehen und auf Mariannes Stimme programmiert - im Schlafimmer-
Modus, versteht sich!
"Nimm' mich! Nimm' mich! Nimm' mich!"
Ich sehe am Display, daß es sich um ein internes Gespräch handelt, also
schalte ich das neue Video ('Terminator (18)') auf Pause und hebe ab. Es
ist Frau Bezelmann.
"Ein Hörr Oberstöötsröt Pickert vom österreichischen
Verkehrsministerium möchte Hörrn Doktör Leisch sprechen!"
Frau Bezelmann hält nichts von akademischen Titeln; daher die affektierte
Betonung. Eine solche Haltung trifft bei allerdings den Österreichern auf
keinerlei Verständnis. Ich schaue auf die Uhr in meinem Display und
schalte den Video ganz ab. Noch nicht mal halb zwölf Uhr und schon
wieder Stress!
Herr Oberstaatsrat Pickert begrüßt mich mit wienerischer Jovialität, eben
so richtig von mächtigem Oberstaatsrat zu popeligem Doktor, nicht wahr?
Nach einigen einleitenden Begrüßungsfloskeln kommt er schnurstracks
zum Kern seines Anrufs:
"Ihr... äh... Institut hat doch in unserem Auftrag die Entwicklung der
ÖstAuVig übernommen..."
Ich bestätige freundlich, daß dem so sei. Der Chef hatte über irgendwelche
Spezeln im Wiener Innenministerium diesen kleinen Auftrag an Land
gezogen und mir aufs Auge gedrückt:
'Entwurf und Herstellung der österreichischen Autobahn-Vignette', kurz
ÖstAuVig.
"Ja, also", fährt der österreichische Oberstaatsrat kritisch fort, "wir haben
ja jetzt die ersten Muster von Ihnen bekommen, und ich hätte da noch...
hm... ein paar Fragen...
Warum gibt es eigentlich nur ein Pickerl für zehn Tage und dann gleich
eins für zwei Monate? Wäre ein Monat nicht sinnvoller gewesen?"
"Vielleicht", antworte ich. "Nach unserer Computersimulation sind aber
zehn Tage und zwei Monate die absolut ungünstigsten Zeitspannen für ihre
Urlauber."
"Aber..."
"Denn einerseits macht heutzutage niemand mehr nur eine Woche Ferien,
andererseits hält es auch niemand zwei Monate in Österreich aus. Sie
werden also massenweise die 2-Monats-Vignetten verkaufen und machen
einen hübschen Gewinn, ohne daß die Leute die zwei Monate wirklich
ausnutzen können."
Das leuchtet den Oberstaatsrat natürlich ein.
"Aha. Nun gut. Aber was die Pickerl selber angeht... ähm... in der
Spezifikation steht... Moment...
'Trapezförmig, mit dem österreichischen Bundesadler als dominante
Graphik (in Silber gehalten) in der Mitte...'
Also, irgendwie sieht mir die Graphik nicht aus wie der österreichische
Bundesadler..."
"Finden Sie wirklich?"
Ich hole das Photo aus dem Ordner und betrachte es kritisch. Frau
Bezelmann hat im letzten Fasching ihren Raben Nero mit silbernem
Haarspray 'verkleidet'. Zum Glück konnte ich ein Photo auftreiben.
"Also, es ist zweifellos ein großer Vogel mit Schnabel und ausgebreiteten
Schwingen; er ist ganz in Silber und ich finde, er schaut sehr
österreichisch aus. Vielleicht könnte man offiziell verlautbaren, es handele
sich um den österreichischen Bundesadler in Art Deco."
"Na schön", meint der Oberstaatsrat, unsicher geworden. "Lassen wir die
Ästhetik mal beiseite. Aber es gibt noch ein viel dringenderes Problem: wir
haben eins Ihrer Muster mal hier in meinem Büro an die Scheibe geklebt.
Und jetzt geht das Ding nicht mehr weg! Auch nicht mit dem Glasschaber!
Der Fensterputzer hat bei dem Versuch, es zu entfernen, sogar die Scheibe
zerbrochen..."
Ich blättere in den Spezifikationen:
"Hmm... Abschnitt 4, Punkt 3, zweiter Absatz... haben Sie das auch
vorliegen? Gut. Da heißt es nämlich:
'Die Vignette ist so zu gestalten, daß ein zerstörungsfreies Ablösen
unmöglich gemacht wird usw.'
Ich würde sagen, wir haben uns ziemlich genau an die Spezifikation
gehalten..."
Der Herr Oberstaatsrat sieht das zwar anders, muß aber zugeben, daß
nirgendswo spezifiziert wurde, WAS beim Ablösen 'zerstört' werden soll.
"Sie haben ja keine Ahnung, was da an Schadensersatzansprüchen auf uns
zu kommt!" klagt er.
Ich versuche ihn zu trösten:
"Was kann da schon passieren: ein Jahr hat 365 Tage. Also kann man im
Extremfall 36 Vignetten pro Jahr auf die Windschutzscheibe kleben. Da
bleibt immer noch genug Platz zum Durchschauen..."
"Aber..."
"Oder empfehlen Sie den Leuten doch einfach, sie sollen das Ding von
außen auf die Windschutzscheibe kleben. Nach den Ergebnissen unserer
Bewitterungsversuche im Materialprüfungsamt löst sich die Vignette nach
400 Stunden Bewitterung mit österreichischen Wetter sowieso von allein
ab."
"Was!?"
"So steht's in unserem Zwischenbericht. Seite 345 oder 435 oder so.
Interessanterweise löst sich der Bundesadler erst ganz zum Schluß..."
"Aber... aber... wenn man das Pickerl von außen aufklebt, kann man
doch gar nicht mehr ablesen; dann sieht man doch nur noch die
Rückseite!"
Aha! Ein Logiker, der Herr Oberstaatsrat!
"Spielt das eine Rolle?" kontere ich. "Im Projektlaufplan ÖstAuVig sind
keinerlei Gelder für die Kontrolle vorgesehen. Es wurden nämlich nur
Gelder für Entwurf, Produktion und Marketing genehmigt..."
Der österreichische Ober-Pickerl schnappt nach Luft.
"Aber... Das ist streng geheim! Das dürfen Sie gar nicht wissen! Das wird
Konsequenzen haben!" ereifert sich Österreich.
"Nanana! So geheim auch wieder nicht!" sage ich. "Genausowenig wie
der wahre Grund, warum der Auftrag ans Ausland vergeben wurde und
nicht von einer österreichischen Firma bearbeitet wird..."
Im Apparat ist für 5 Sekunden Funkstille. Ich warte gespannt.
"Das... das... wissen Sie AUCH?!" stottert kommt es schließlich
fassungslos durch die Leitung.
BINGO! Ich hätte ja wetten können, daß da noch mehr dahintersteckt!
"Na logo", gebe ich zurück. "Aber machen Sie sich keine Sorgen. Solange
Sie die kleinen Lapalien vergessen können, über die wir so nett geplaudert
haben, und die Projektgelder weiter ungehindert fließen, sind diese
unbedeutenden Hintergrundinformationen bei mir so sicher wie in einem
Schließfach der österreichischen Bundesbank."
Herr Oberstaatsrat Pickert schluckt hörbar, ist aber mit allem
einverstanden.
Später, als ich in den Zeitungen nach Prospekten für eine verbesserte
Video-Projektions-Anlage (= ÖstAuVig-Gelder) krame, stoße ich auf eine
kurze Notiz:
'Österreichische Bundesbank beraubt. Täter entwenden sämtliche
Wertsachen aus Schließfächern in Wien.'
Ich schätze, Oberstaatsrat Pickert wird das nicht lustig finden.
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